Vorsicht: Schön!

von Sigrid Blomen-Radermacher M.A.

Schönheit in der Kunst, zumal in der Malerei, steht unter Generalverdacht. Zwar war kunsthistorisch gesehen die Schönheit, die zugleich die reine Wahrheit über das Dargestellte vermittelte, ein wichtiger Bewertungsmaßstab in der Malerei. Aber in der zeitgenössischen Kunst wird die Schönheit vermieden. Hier unterliegt sie der Anmutung des schön Gemachten, des Dekorativen und des Seichten. Was die Schönheit für die „hohe“, die „angesehene“ Kunst verdächtig macht. Und so stellt sich die Frage, wie in der Kunst heute Schönheit überhaupt angemessen thematisiert werden kann. Wobei die Definition von Schönheit ja auch uneindeutig ist. Was  in diesem Zusammenhang mit dem Begriff Schönheit in der darstellenden Kunst gemeint ist, ist: sich auf eine harmonisch anmutende Welt zu beziehen, ohne ausschließlich das Zerstörte, Fragmentierte, Verletzte darzustellen. Sich stattdessen auf eine Welt zu beziehen, in der es das Strahlende, Lebendige, Blühende, Unversehrte gibt. Ursula-Helene Neubert bewahrt sich den ungebrochenen Blick auf die Schönheit der Natur. Nur dieser kann letztlich zur Wertschätzung von Pflanzen- und Tierwelt führen. In ihrer Tätigkeit als Künstlerin belässt Neubert es nicht beim bloßen Blick auf die Schönheit und ihrer Wiedergabe. Sie sammelt Elemente des Schönen ein und überträgt sie mit Eitempera und Pigmenten, mit Acryl- und Ölfarben auf Jute, Papier, Holz. Mit einem Armreifen aus Kreppband flaniert sie durch den Wald und über die Wiesen und greift etwas von der Schönheit ab: Blüten, Gräser. Zu Hause aufbewahrt werden sie zur Grundlage eines nächsten Bildes. Ebenso wie die Blumenarrangements, die sie vor sich ausbreitet, um sie malerisch festzuhalten. Es gibt sie durchaus, die wiedererkennbaren Blumenbilder, in denen die Gladiole, die Aster, die Zinnie, der Storchenschnabel, das Gänseblümchen und wie sie alle heißen, zu erkennen sind. Vor allem auf den schmalen Langformaten, deren Grundlage die Blütenarmbänder sind. Da schwelgt die Malerin in der Vielfalt dessen, was die Natur hervorbringt. Vielfalt der Formen, Vielfalt der Farben. So wie sie sie sammelt auf ihren Spaziergängen, so werden die Blüten malerisch gesammelt und gezeigt: wie das Fazit einer Jahreszeit, eines Ortes, eines Momentes. Und vor allem wie eines: das Fazit von Farbe. Denn die steht im Mittelpunkt aller künstlerischen Überlegungen von Neubert. Blumen sind lediglich ein Mal-Anlass.

Es geht Ursula-Helene Neubert um das Spiel zwischen den Farbtönen, wie sie sich miteinander und nebeneinander zueinander verhalten, verändern, verstärken. Es geht ihr darum, welche Farbklänge durch welches Miteinander entstehen.

Wenn man andere ihrer farbgewaltigen, vor Lebendigkeit überschäumenden, explosiven Bilder sieht, mag man es – hier und da – kaum für wahr halten wollen, dass Neubert tatsächlich reale Blumen vor sich sah. So weit hat sie sich von ihnen entfernt und ist ihnen dennoch treu geblieben. Was Neubert dann doch vom Generalverdacht der bloßen Hascherei nach Schönheit befreit und von den – wie im Vorwort von Armin Kaumanns so pointiert genannten – Klischees Kitsch, Lieblichkeit und Dekoration, das ist ihre individuelle technische Vorgehensweise.

Ihre Vorgehensweise: Neubert malt keine traditionellen realistischen Blumenstillleben. Sie überträgt ihr Bild der Blumen überlebensgroß in mehreren Schichten auf die Leinwand. So groß, so überbordend, dass sie häufig genug an den Rändern abbrechen. Damit entwickelt sie eine offene Komposition, die die Grenzen des Bildträgers sprengen und die Grenzen der Fantasie des Betrachters ebenso. Er ist  frei, die Blume „weiter zu malen“, sie in den Raum hinein zu sehen, sie sich entwickeln zu lassen.  Ursula-Helene Neubert behält verlaufende Farbspuren, statt sie zu übermalen. Die Farbspuren erzählen damit vom Entstehungsprozess des Bildes und führen zu einem gewissen Grad an Abstrahierung.

Eine weitere Besonderheit in Neuberts Maltechnik ist der Umgang mit der Grundierung der Jute, die sie häufig für die großen Formate auswählt.  Denn die Malerin entscheidet sich häufig für die ungrundierte Rückseite der Jute. Auf ihr findet sich punktuell die weiße Grundierung, die stellenweise durch das Material gedrungen ist. Der Untergrund wird damit zum Hintergrund, der dem gemalten Blumenarrangement eine ganz eigene Anmutung verleiht.

„Floreas“ hat Ursula-Helene Neubert ihren Katalog genannt. „Floreas“ kann man auf zweierlei Weisen übersetzen: mit „du mögest blühen (oder auch gedeihen)“  bzw. mit „blumig“ (in einer Akkusativform). Neubert hat den Titel mit einem Ausrufungszeichen versehen. Und wo wir gerade bei fremden Sprachen sind: Im spanischen heißt das Ausrufungszeichen signo de admiración, Zeichen der Bewunderung. Und damit schließt sich der Kreis.

©Sigrid Blomen-Radermacher